Platz genug, um ein Baumhaus zu bauen

An einem nasskalten Winterabend fuhr ich mit Christoph zur Geburtstagsfeier einer gemeinsamen Freundin. Ich hatte gehört, er wolle nach Schweden auswandern und sprach ihn darauf an. Hier ist die sagenhafte Geschichte von Christophs Bullerbü, seinen zupackenden Freunden und der Hühnerfrau.

Christoph, dein Weg führt dich nach Schweden, warum eigentlich Schweden?

Das ist eine gute Frage. Mich zieht es seit über 30 Jahren immer wieder in den Norden. In der Regel bin ich da alleine mit dem Motorrad hochgefahren, habe meine Ruhe gesucht und gefunden. Wobei Schweden eigentlich eher Transitland war. Ich bin meistens über Schweden as fast as possible in den Norden hoch und dann durch Norwegen ganz entspannt zurückgebummelt.

Hast du Schweden da auch schon als attraktives Land wahrgenommen oder eher als flache Landschaft mit vielen Bäumen?

Das hat mich zunächst tatsächlich ein wenig  abgeschreckt. Ein Wald ist ein Wald und eine Tanne ist eine Tanne. In Schweden gibt es, zumindest auf den Strecken, die ich gefahren bin, sehr viele Nadelwälder. Wenn man sich aber ein bisschen Zeit nimmt, gibt es wunderschöne Plätze an den Seen.

Norwegen ist spektakulärer oder?

Absolut, deutlich karger und viel rauer, mit ganz anderen Eindrücken wie zum Beispiel die Trollstiegen. Dort gibt es einen atemberaubenden Blick in ein wunderschönes Tal, wo ich gerne verweilt habe.

Hattest du damals schon darüber nachgedacht, dort irgendwann mal zu leben?

Gar nicht. Auf den Rückfahrten habe ich mich allerdings oft gefragt, ob das, was ich in Deutschland mache, das Ende der Fahnenstange ist. Ich hatte immer das Gefühl, da kommt noch was anderes.

 

»Es sollte ein Grundstück mit entsprechendem Baumbestand und auch Platz für Spinnereien sein, zum Beispiel für ein kleines Festival.«

Kann man die skandinavischen Länder mit Deutschland vergleichen?

Nein, das Leben dort ist deutlich entschleunigter. Selbst in einer pulsierenden Großstadt wie Stockholm habe ich total entspannte Menschen getroffen, die die Hektik, die ich in Deutschland erlebe, gar nicht kennen. Wenn zum Beispiel beim Einkaufen an der Kasse noch gequatscht wird, ist das für die Menschen in der Schlange völlig in Ordnung, da wird nicht gleich die Stirn gerunzelt. Man nimmt sich mehr Zeit füreinander.

Bedeutet das, dass dir unser Lebenstil eher unangenehm aufgefallen ist?

Ja, das war schon vor Corona so und ist währenddessen noch massiver geworden. Ich finde inzwischen, daß wir hier zu schnell zornig werden. Wir sind eine ungeduldige Gesellschaft. Fahrradfahrer werden angehupt, wenn sie sich falsch bewegen, Autofahrer angeschrieen, das Verhältnis untereinander ist für mein Empfinden gekippt. Vielleicht fällt mir das aufgrund meines Alters auch nur mehr auf, keine Ahnung, aber die zornige Grundstimmung stößt mich langsam ab.

Was ist aus deiner Sicht in Skandinavien anders?

Kleines Beispiel: In Norwegen sind Tankstellen Anlaufpunkte für alle, da macht dir der Tankwart auch einen Burger, wenn du willst. Ich war gerade auf dem Weg nach Norden und musste tanken. Beim Bezahlen sprach mich ein Norweger an, in welche Richtung ich wolle, Norden oder Süden. Als ich sagte Norden, guckte er auf die Uhr und meinte, dann hätte ich jetzt noch 45 Minuten Zeit und solle mir hier einen Burger holen, denn der sei der beste im Umkreis von 50 Kilometern. Ich war etwas irritiert, er klärte mich auf, dass es unterwegs eine Tunnelbaustelle gäbe. Ich könne natürlich an der Ampel eine Stunde warten oder aber in der Zeit hier einen Burger essen. Das leuchtete mir ein. Er setzte sich dann noch zu mir und wir kamen ins Quatschen. Ich erzählte ihm, dass ich Tischler bin und mir vorstellen könne, eines Tages hier zu arbeiten. Da zückte er die Karte von einem Freund, der noch Leute suchte, wünschte mir eine gute Fahrt und meinte: „Melde dich, wenn du Lust hast.“

War das für dich die Ermutigung, darüber nachzudenken, dort ein Leben zu starten?

Ja, das war einer von vielen Anfangsimpulsen, wo ich merkte, dass es Möglichkeiten gibt.

Wann hast du angefangen, dich konkret umzugucken?

Im Sommer ‘22 habe ich drei Wochen Urlaub in Schweden gemacht unter anderem bei Freunden, die sich dort 2016 ein Haus gekauft haben. In der zweiten Woche bin ich dann auch noch zu einer Freundin nach Nordschweden gefahren. Sie hatte mich zum Kaffee eingeladen. Das war das erste Mal in meinem Leben, dass ich 1200 km für eine Tasse Kaffee gefahren bin. Ich bin dann aber doch eine Woche bei ihrer Familie geblieben. Zusammen haben wir dann angefangen, im Internet zu stöbern. In Schweden werden die meisten Häuser auf einer Makler-Plattform versteigert, so ähnlich wie bei ebay. Zurück in Bielefeld habe ich einige Zeit später ein Objekt gefunden, bei dem ich Lust bekam, mir das mal anzusehen.

»Mit der Scheune sind es vier Häuser und zwei Schuppen, allesamt Holzhäuser. Das Haupthaus nenne ich Pippilotta-Haus, weil es aussieht wie im Film.«

Wolltest du aufs Land, in die Stadt, ans Meer?

Aufs Land. Am letzten Abend habe ich bei meinen Freunden in Schweden mit einem ihrer Freunde im Garten gesessen und sinniert. Ich hatte schon oft die romantische Vorstellung, dass ich Platz genug haben möchte, um ein Baumhaus zu bauen, vielleicht mit einer kleinen Terrasse davor, auf der man mit einem Glas Wein den Sonnenuntergang genießen kann. Auf jeden Fall war mir klar, dass ich Freunden, wenn sie kommen würden, um mir zu helfen, auf der Durchreise sind oder einfach verweilen möchten, gerne solch einen Platz anbieten würde.

War das ein wichtiges Kriterium bei der Suche?

Ja, es sollte ein Grundstück mit entsprechendem Baumbestand und auch Platz für Spinnereien sein, zum Beispiel für ein kleines Festival. Schlussendlich ist es dann ein kleiner Bauernhof geworden mit einem Hektar Grundstück, mehreren Gebäuden und unfassbar viel Potenzial.

War dein Bauernhof unbewohnt?

Ja und der wird gerade nach ca. 12 bis 15 Jahren Leerstand quasi aus dem Dornröschenschlaf geweckt. Die Natur hat sich das Grundstück nahezu komplett zurückgeholt. Das geht unglaublich schnell, wenn man sie läßt.

Kannst du dich noch erinnern, welches Merkmal dich besonders angesprochen hat?

Die Bilder vom Exposé haben mich fasziniert. Die Atmosphäre, die sie auf mich übertragen haben. Es war eine ziemlich große Scheune dabei, ungefähr 10 x 50 m, mit einem kleinen Vorbau, der nach Süden ausgerichtet ist. Das regte meine Fantasie an. Ich habe Möglichkeiten gesehen.

Wie viele Häuser sind es insgesamt?

Mit der Scheune vier und zwei Schuppen, allesamt Holzhäuser. Das Haupthaus nenne ich mal Pippilotta-Haus, weil es so aussieht wie im Film. Dann gibt es noch das sogenannte Reihenhaus, das wunderbar als Gästehaus geeignet ist. Und ein kleines Haus mit Steinfundament und Keller mit einer Fläche von ca. 4 mal 8 Metern, mit leichter Hanglage, sehr charmant, das habe ich für mich ausgesucht.

Warum?

Ich reduziere mich gerade auch in Bielefeld von 160 qm auf den “kleinen” Anbau, den ich in der Siegfriedstraße behalten werde. Klein, aber fein.

Du findest also im Internet ein Haus, von dem du dir vorstellen kannst, das ist es. Was machst du dann?

Zunächst mal träumen, was wäre, wenn das möglich wäre. Was es natürlich nicht war, weil die finanziellen Mittel nicht vorhanden waren.

Wie hast du das gelöst?

Mein erster Gedanke war, eine Hypothek auf mein Haus in Bielefeld aufzunehmen, das ich vor acht Jahren “ausversehen” kaufen musste, weil die Konditionen so unschlagbar gut waren. Als ich einem lieben Freund, der in diesem Haus wohnt, von der Sache erzählte und ihn fragte, wie man das am besten macht, sah er mich nur mit großen Augen an und sagte: „Eine Hypothek dafür aufnehmen? Das machst du auf gar keinen Fall!”. Das ganze Procedere sei unnötig kostenintensiv, stattdessen bot er mir Unterstützung für das Projekt an. An der Stelle habe ich erstmal geschluckt und musste mich mit dem Gedanken vertraut machen.

Damit konntest du an der Versteigerung teilnehmen?

Noch nicht ganz. Jedoch war der Impuls gesetzt. In meinem Freundeskreis habe ich nun diese Geschichte erzählt und innerhalb von zwei Wochen war die Hälfte der Summe bereitgestellt. Das war dann für mich der Moment, an dem ich dachte, stop, jetzt gucke ich es mir an.

 

 

»Ich wollte mich einfach mit einem Klappstuhl auf das Grundstück setzen, um zu spüren, wie es auf mich wirkt. Eine Freundin hatte vorher zu mir gesagt, du brauchst den Klappstuhl nicht, du brauchst nur fünf Minuten auf dem Gelände zu sein. Das stimmte nicht ganz, ich brauchte nur drei.«

Hört sich an, als ob deine Freunde die Idee toll finden und dir vertrauen. 

Ich war auch überrascht. Wie gesagt, ich habe nur die Geschichte erzählt. Ein Freund aus Hamburg meinte zum Beispiel, bevor die Inflation sein Geld nimmt, solle ich es lieber mit nach Schweden nehmen.

Habt ihr das vertraglich geregelt?

Auf jeden Fall. Mit ganz normalen Darlehensverträgen. Wenn mein Haus in Bielefeld in zwei Jahren verkauft werden kann, werden die Darlehen zurückgegeben. Ich war echt platt von der Bereitschaft zur Unterstützung.

Dann bist du nach Schweden?

Genau, ich hatte noch eine Woche Urlaub. Ein Freund, der in Schweden wohnt, ist Zimmermannsmeister und wir haben uns die Häuser im Hinblick auf die Bausubstanz angesehen, außerdem hatte er einen Geigerzähler, um eine mögliche radioaktive Belastung, z.B. durch die Gesteinsformationen festzustellen. Alle Werte waren im grünen Bereich und mein Bauch hat gesagt: Ja!

Wie kam das?

Ich hatte aufgrund des Exposes´ natürlich eine rosarote Brille auf. Die habe ich abgenommen, als ich da war. Es war kalt, Oktober, völlig anders als im Urlaub im Juli oder August. Dann bin ich zu den Freunden gefahren, die 50 km entfernt wohnen und am nächsten Tag wieder zum Grundstück, Nieselregen, Schmudelwetter, die rosarote Brille gab es nicht mehr. Dann habe ich nochmal einen Tag Pause gemacht, bin wieder hin, aber eigentlich war in den ersten drei Minuten tatsächlich schon alles klar.

Hattest du Angst, dass es dir noch durch die Lappen gehen könnte?

Ja, aber im Nachhinein völlig unbegründet. Das Gelände ist so groß, dass es für den normalen Touristen, der sich ein Objekt als Ferienhaus kaufen möchte, eine völlige Überforderung ist. In drei, vier Wochen Urlaub schafft man gerade mal das Rasenmähen. Und für Schweden ist es auch unattraktiv, weil zu groß und zu aufwändig zu sanieren. Nach 15 Jahren Stillstand muss man vieles komplett auf links drehen. Für mich war entscheidend, dass die Bausubstanz inkl. Dächern und Sockeln gut ist.

Hattest du da schon die Gelegenheit reinzugucken?

Sagen wir mal so, ich habe reingeguckt. Das hatten andere vor mir auch schon gemacht. Man konnte sich Zugang verschaffen, ohne etwas kaputt zu machen. In dem Exposé war nur das Reihenhaus und die Scheune aufgeführt. Das PippilottaHaus war nur im Hintergrund zu sehen, deshalb hatte ich vermutet, dass das Haus abbruchreif ist. Dem war aber ganz und gar nicht so. Der Zustand war unfassbar gut. Wir haben die Fußbodenbeläge hochgenommen und die Zeitungen darunter waren von 1926. Der Zustand des Bodens war fantastisch, rohe Holzdielen, als wenn der Boden gestern verlegt worden wäre. Als ich das gesehen habe, war mir klar, da ist viel mehr Potenzial als gedacht. Das dritte Haus zum Beispiel hat auch nicht im Exposé gestanden.

Hast du noch in Schweden Kontakt zu den Verkäufern aufgenommen?

Nein, Ich bin dann erstmal zurück nach Deutschland. Zu dem Zeitpunkt war ja nur die Hälfte der Kaufsumme gedeckt. Eine knappe Woche später konnte ich allerdings schon bieten, da die komplette Summe bereitgestellt war.

Lief der Kauf über einen Makler?

Ja, eine Maklerin. Das hat dann allerdings nochmal eine Weile gedauert. An dem Tag, an dem der Verkäufer mein Angebot akzeptiert hat, ist meine Mutter nicht mehr aufgewacht, sondern auf die andere Seite gegangen. So wie sie es sich gewünscht hat, ist sie einfach eingeschlafen. Das musste ich nun erstmal in diesen Prozess aufnehmen. Viele haben vielleicht schon mal davon gehört oder es selbst erfahren: Eine Tür geht zu und eine andere Tür geht auf. Aber in dieser Dimension?

Wann hast du den Vertrag dann unterschrieben?

Ich bin nach dem Tod meiner Mutter nach Schweden gefahren, um den Vertrag zu unterschreiben. Das ging alles ganz problemlos. Der Kaufabschluss war allerdings erst im Juli den folgenden Jahres.

»Als sich im Freundeskreis rumgesprochen hatte, dass ich ein Haus in Schweden gekauft habe, hat sich eine Dynamik entwickelt, die ich mir im Leben nicht hätte vorstellen können.«

Wer war eigentlich Vorbesitzer?

Ein Holländer mit einem chilenischen Kompagnon. Die waren wohl sehr motiviert. Die haben zwei Wohnwagen als Quartier und schon mal ein Segelboot auf den Hof gestellt, haben Bäume gefällt und richtig losgelegt und dann von einem Tag auf den anderen: Abbruch. So sah es jedenfalls für mich aus, denn Sachen aus dem Haus lagen kreuz und quer in der Gegend herum. Tatsächlich ist der Holländer gestorben.

In Schweden?

Das weiß ich nicht. Jedenfalls konnten die Erben anscheinend nicht viel mit dem Grundstück anfangen. Der Niederländer war wohl der Antrieb dieses Vorhabens und wenn der “Motor” ausfällt …. Trotzdem hat es dann noch über 12 Jahre gedauert, bis sie verkaufen wollten.

Welche Lehre ziehst du aus der Geschichte?

Man braucht einfach unheimlich viel Zeit. Ich bin zwar alleine, aber ich muss es ja nicht morgen fertig haben. Mir reicht erstmal ein kleines Häuschen. Der Gedanke am Anfang war, mir einen 3-Tage-Job zu suchen, um den Lebensunterhalt und die Kosten zu decken und vier Tage auf dem Hof zu arbeiten um zu schauen, was möglich ist.

War für dich die Perspektive, ich kommen nie wieder? Hast du deinen Job gekündigt?

Ich wollte mich zunächst erstmal nur ein halbes Jahr freistellen lassen. Ich arbeite seit 18 Jahren als Bühnentechniker im Stadttheater Bielefeld. Da mir der Job und der Kollegenkreis gut gefällt, fand ich die Idee mit je einem halben Jahr in Schweden und Bielefeld ganz charmant. Mein Chef war grundsätzlich auch dazu bereit. Aus betrieblichen Gründen musste er die betriebliche Freistellung allerdings zurückziehen und ich habe dann gekündigt.

Sind deine Sachen schon in Schweden?

Zum großen Teil ja. Ich musste in Bielefeld sowieso meine Wohnung wegen dem Verkauf des Hauses räumen und bin in den Anbau gezogen. Vor dem eigentlichen Umzug war ich im Mai 2023 schon mit einer Freundin in Schweden. Da haben wir schon einige Wegeflächen frei gemacht und Grundlagen geschaffen, denn es war alles komplett verwildert und zugewachsen.

Hattet ihr dafür gutes Gerät?

Gutes Gerät war Spitzhacke, Schaufel und ein Gaskocher zum Kaffee kochen. Kein Strom, kein elektrisches Gerät. Das Absurde war, dass 90 % der Geräte, die wir benutzt haben und brauchten, schon auf dem Gelände vorhanden waren. Immer, wenn wir dachten, jetzt brauchen wir dies oder jenes Werkzeug, hatten wir es eine halbe Stunde später in der Hand und zwar in einem guten Zustand. Wir haben das letzte Jahr fast nur mit Werkzeugen gearbeitet, die wir dort gefunden haben.

Ist das auch ein Teil von deinem Konzept, den Originalzustand zu respektiert und zu nutzen, was da ist?

Auf jeden Fall. Ich bin inzwischen schon so oft über das Grundstück gelaufen und dachte, ich kenne mich ein bisschen aus. Als ich mir dann aber nochmal die Fotos in Ruhe angeguckt habe, bemerkte ich im Dachgeschoss der Scheune einen Trakt, den ich vorher noch nie wahrgenommen hatte. In diesem Raum haben wir eingelagerte Möbel vom Jugendstil bis zu den 60ern gefunden. Tische, Stühle, Sofas, Anrichten in einem ziemlich guten Zustand. Das größte Sofa hat eine Breite von 2,60 m mit einem aufsetzbaren Rückenteil, das könnte zum Beispiel das zukünftige Terrassensofa werden.

Ist die Terrasse überdacht?

Ja und das ist auch gut so. Es hat sich herausgestellt, dass die Terrasse der zentrale Punkt zum gemeinsamen Sein ist. Zu jeder Mahlzeit und bei jeder Witterung.

»Wir haben festgestellt, dass geregelte Verpflegung der wichtigste Faktor ist, damit eine Gruppe funktioniert.«

Und deine Freunde haben beim Umzug geholfen?

Ja, ich sagte ja schon, dass eine Dynamik entstanden ist, die ich mir nie hätte vorstellen können, weil alle die Idee toll fanden. Am Anfang waren es 10 bis 12 Freunde, die sich vorstellen konnten mitzufahren, daraus sind dann später aber erstmal nur noch drei geworden. Das reichte allerdings, um zwei 7,5-Tonner und zwei Wohnmobile zu bewegen. Wir sind also mit vier Fahrzeugen nach Schweden gestartet.

Hast du deinen ganzen Hausrat mitgenommen?

Zum großen Teil ja, zumindest das, was unbedingt mitwollte. Dazu Baumaterialen, Werkzeuge und vieles, was Freunde noch in ihrem Fundus gefunden haben, von Nägeln bis zum Schweißgerät und einem Paar Büffelwinden war alles dabei. Mit den Büffelwinden konnten wir später fast spielerisch eine Ecke der Scheune anheben, das beschädigte Ständerwerk austauschen, unterfüttern und wieder absetzten.

Zwei Tage später kam noch Dietmar mit Aaron, meinem Patenkind dazu, der zwei Stromgeneratoren und Gasflaschen zum Kochen dabeihatte. Jenny hat die Küchenfee gespielt, sie hat sie zuerst in Schuss gebracht und sich dann um die Versorgung gekümmert. Sie war allerdings nur 10 Tage da, weil die LKWs zurückgebracht werden mussten.

Habt ihr die ganze Zeit gearbeitet?

Ja, nur das hat niemand so empfunden, weil es keine Taktung gab. Jeder hat erstmal in Ruhe gefrühstückt, dann waren regelmäßige Getränkepausen auch sehr wichtig, weil der Sommer in Schweden richtig was kann.

Hattest du ein Konzept, was gemacht werden sollte?

Klar, aber das hat sich letztlich alles entsprechend der Kompetenzen entwickelt, die die Leute hatten. Es musste sowieso alles gemacht werden, von daher war ich ganz entspannt.

Was für Aufgaben waren das?

Jenny hat sich die Aufarbeitung der Küche zur Aufgabe gemacht. Eric hat im Reihenhaus eine Küche aufgebaut und Charlie hat sich um die Grünanlagen gekümmert, unfassbar, was alle geschafft haben. Im Nachhinein meinte ein Freund von mir, dass er es erstaunlich findet, welche Dynamik eine Gemeinschaft hervorrufen kann. Das war für mich auch neu. Jeder ist über sich selbst hinausgewachsen und hat Dinge geschafft, die alleine vielleicht unmöglich gewesen wären. Es war mehr wie ein Zug, der alle mitgezogen hat, da war niemand, der anschieben musste. So hat es später auch Margarete beschrieben, die mit ihrem Mann dazukam.

Hatte sie auch ihr Spezialgebiet?

Auf jeden Fall. Sie ist in der solidarischen Landwirtschaft aktiv und hat eine Kiste Setzlinge mitgebracht. Mit dem fantastischen Kompost hinter der Scheune hat sie die Setzlinge in Töpfe, Kübel und alles, was herumstand eingepflanzt. In kürzester Zeit ist Salat, Fenchel, Blumenkohl, Grünkohl und Schnittlauch in die Höhe geschossen. Es war nur ein Test, weil es im Juli eigentlich schon zu spät zum Pflanzen ist, es war aber sehr beeindruckend, was gehen kann.

Hast du noch ein Beispiel von wegen über sich selbst hinauswachsen?

Charly, unser Biologe hatte einen zugewachsenen Weg entdeckt und wollte herausfinden, wohin er führt, indem er die Grasnarbe entfernte. Nach 30 Metern hatte sich ein riesiger Berg angesammelt. Unser Nesthäkchen Hansjörg stand irgendwann daneben und meinte: Das bringe ich jetzt mal zum Kompost, das ist meine Tagesaufgabe. Der Weg dorthin: ca. 50, 60 m unwegsames Gelände mit der Schubkarre. Selbst für einen jungen Menschen ist das schon eine Herausforderung, aber im zarten Alter von 81 … Das hat alle beeindruckt.

Was hat dich noch beeinduckt?

Dietmar ist Elektriker, der hat sich erst im Badezimmer um die Wasserleitungen gekümmert und sich dann über die Stromversorgung Gedanken gemacht. Das Ergebnis war eine Rückwärtseinspeisung vom Aggregat in den Sicherungskasten, um die Stromversorgung in meinem Tinyhaus sicherzustellen. Da wäre ich nie draufgekommen. Es haben sich ungaubliche Kompetenzen versammelt, von denen ich vorher teilweise gar nichts wusste. Jeder ist mitgezogen worden, mein Patensohn Aaron war zum Beispiel plötzlich in der Küche mit am Kochen. Zwischenzeitlich waren wir bis zu 12 Freunde, die den ganzen Tag selbstorganisiert gewirkt haben.

Was war dein Part?

Gute Frage. Ich bin von einem zum anderen gelaufen und kam gar nicht zu den Sachen, die ich eigentlich machen wollte. Das war aber auch nicht wichtig. Ich habe unterstützt, wo gerade Hilfe erforderlich war und mich am Ende des Tages oft gefragt, was ich eigentlich gemacht habe.

Wie habt ihr die Abende verbracht?

Wir haben zusammen gegessen, gequatscht, Bierchen getrunken, sind aber auch relativ zeitig ins Bett, weil alle Bock darauf hatten, am nächsten Morgen weiterzumachen. Einmal hat jemand eine Bluetoothbox auf den Tisch gestellt, dann haben wir aber schnell festgestellt, dass das eigentlich eher stört. Die Natur mit dem Wald und Wind, der durch die Bäume weht, ist ja selbst schon eine Melodie, die unheimlich spannend ist und die man normalerweise gar nicht wahrnimmt. Also keine Musik, keine Ablenkung, der Fokus nur auf der Örtlichkeit und die Wahrnehmung derselben. Ich hatte auch Fahrräder mitgebracht und musste meine Freunde schon fast zwingen, mal eine Pause einzulegen und die Gegend zu erkunden. Es gibt zum Beispiel in der Nähe einen See.

Hast du schon darin gebadet?

Leider bisher noch nicht.

Wie sieht die Umgebung aus?

Direkt angrenzend gibt es nur ein kleines Wäldchen, aber in der weiteren Umgebung sehr viel Wald.

Was haben die Leute berichtet, die im Wasser waren?

Kalt. Schwedische Seen sind auch im Sommer ziemlich kalt, weil sie meist recht tief sind.

 

»Ich habe gar nichts gesucht, ich habe es gefunden. Ich hatte keine Erwartung und keine Vorstellung, aber das, was ich nicht gesucht habe, ist sogar noch übertroffen worden. Diese Aufnahme hätte ich mir so nicht träumen lassen.«

Dein Hof ist in der Nähe von einem Dorf?

Ja, am Rand eines sehr kleinen, charmanten Dorfes. Ich würde sagen, ein bisschen Bullerbü mit kleinteiligen Agarflächen entlang alter Steinverläufe, geschwungener Kanten, traumschön. Auch die Einfahrt zum Dorf hat was. Das Dorf ist 1 km von der Bundesstraße entfernt, 20 km von der Ostsee, hat 2 Bauernhöfe und 12 Haushalte, die meisten Einwohner sind über 50, aber alle sehr aktiv und geschäftstüchtig. Meine Hühnerfrau hat zum Beispiel noch eine Schneiderei, geht auf Märkte und verkauft selbstgebackenen schwedischen Kuchen, eingelegte Gurken und andere Leckereien.

Was ist denn die Hühnerfrau?

Die Frau, die das Dorf mit Hühnereiern versorgt.

Kann man die Eier bei ihr kaufen?

Ja, allerdings…. als ich das erste Mal hinging, um Eier zu kaufen und bezahlen wollte, guckte sie mich mit großen Augen an und sagte: „Nein!“ Ich dachte, ok beim ersten Mal ist das dann vielleicht so. Beim nächsten Mal habe ich ihr dann Pralinen mitgebracht und sie wieder gefragt, was die Eier kosten. Da hat sie mich noch irritierter angesehen: „Nein“, sagte sie, „wir sind hier in einem Dorf, wir helfen uns gegenseitig und du bist jetzt übrigens auch im Dorf.“ Da war ich echt fassungslos, weil ich mir die Aufnahme so nicht hätte vorstellen können.

Interessant, gilt das auch für andere Lebensmittel?

Naja, umsonst ist das Leben auch in Schweden nicht. Als ich das letzte Mal im November da war und wieder mit meinen Pralinen bei ihr auf der Matte stand, erzählte sie mir, dass sie sich alle im Dorf auf den Winter vorbereitet haben. Zusammen haben sie 6 Tonnen Kartoffeln und 25 Schweine bestellt, die jetzt zerlegt und aufgeteilt werden. Ich habe sie gefragt, ob ich mich im nächsten Jahr daran beteiligen dürfe. Wieder ein irritiertes Gesicht und die Antwort: „Ja, du bist jetzt im Dorf!“ Das hat mich echt beeindruckt, weil es einerseits bedeutet, dass die Dorfgemeinschaft funktioniert und ich als Ausländer sofort ein Teil der Gemeinschaft bin.

Freuen sich deine Nachbarn, dass das Grundstück wiederbelebt wird?

Ich denke schon. Mein Ansatz war, es anders zu machen als Bekannte, die ihr Haus von innen nach außen renovieren. Das dauert halt sehr lange. Ich wollte zunächst mal konstruktiven Bautenschutz von außen betreiben, das heißt, ich habe die Häuser gestrichen, damit sie eine schöne Atmosphäre verbreiten, für mich, aber auch für das Dorf. Wenn ich jetzt nach Hause komme, komme ich nicht in eine Ruine als Baustelle, sondern habe gleich ein schönes Bild, das mich anzieht.

In welcher Farbe habt ihr die Häuser gestrichen?

Ich wollte sie erst kunterbunt machen, von wegen Villa Kunterbunt, habe mich dann aber entschieden, die Sichtseite zur Straße einheitlich zu gestalten. Wir haben jetzt ein schönes Gelb, die Rahmen von den Fenstern sind grün, beim großen Pippilotta-Haus habe ich die Rahmen grau angestrichen, was eigentlich noch schöner aussieht. Das große Haus wird ein Gemeinschaftshaus mit Seminarräumen im Erdgeschoss und einer Gästewohnung mit Frühstücksbalkon für eine Familie im 1. Stock.

Wie weit bist du jetzt, in Prozent vom endgültigen Zustand?

Den endgültigen wird es nie geben, das entwickelt sich immer weiter. Die Grünarbeiten werden wir nächstes Jahr nochmal neu anfangen müssen. Bei der Hausstruktur liegen wir geschätzt bei 5 Prozent, nicht mal, eher bei 3,8 oder 4,8, auf keinen Fall zweistellig. Eine ehemalige gute Freundin von mir sagte mal über das Leben im Allgemeinen: „Fertig werden wir sowieso nicht.“ Ich denke, das müssen wir auch gar nicht.

Bei den Buddenbrocks von Thomas Mann heißt es: „Wenn das Haus fertig ist, kommt der Tod.“ Insofern ist das vielleicht ja auch ganz gut. Aber macht es dich nicht trotzdem etwas mutlos, dass noch so viel zu tun ist?

Ich war 2023 drei Monate am Stück auf dem Hof, in der Zeit waren 30 Freunde von mir da, die das Projekt mitgetragen und unterstützt haben. Diese Dynamik wird es erstmal nicht mehr geben, es wird ruhiger werden, ganz klar. Aber die Geschichten, die bis jetzt passiert sind, treiben mich an. Manche kommen nur einen Tag, bringen Bier mit, was zum Grillen und reisen dann weiter, aber selbst in zwei Tagen passiert so viel, das ist total spannend. Jeder Handschlag, so klein er auch ist, treibt das Projekt voran. Also mutlos? Nein!

Wie stellst du dir dein Leben in zehn Jahren vor? Bist du dann komplett in Schweden?

Ja, definitiv. Aber wenn du den großen Manitu zum Lachen bringen willst, machst du Pläne. Es fühlt sich allerdings jetzt schon nach einem Zuhause an. Im September, als es ruhiger wurde, hat das Dorf seine Aufwartung gemacht, ich habe mich dafür entschuldigt, dass ich mich bis dahin noch nicht vorgstellt hatte, aber die meinten nur, alles gut, wir sehen, was du hier tust. Die waren überrascht, wieviele Menschen mitgekommen sind.

In welcher Sprache verständigt ihr euch?

Englisch, das können die meisten Schweden ganz gut. Ich habe es leider noch nicht geschafft, Schwedisch zu lernen. Am Ende geht Integration nur über die Sprache. Die werde ich jetzt von meiner Hühnerfrau lernen (lacht). Ihr Mann ist auch großartig, von dem habe ich gleich erstmal zwei Flaschen schwedisches Bier geschenkt bekommen. Total liebe Menschen.

Was würdest du denen empfehlen, die auch ihr Herzensland suchen?

Kommt darauf an, was man möchte. Möchte ich weg von…? Oder hin zu ….? Und dann? Ansonsten: Einfach mal machen. Und wenn´s erstmal im Urlaub ist, umschauen, unvoreingenommen und neugierig sein, Dinge passieren lassen. Keine festen Strukturen von der Art Ich will dies…, ich muß jenes… mitbringen. All das vergessen, einfach fließen lassen. Ruhe ist ganz wichtig, Eindrücke sacken lassen, Impulse aufschreiben. Man muss auch überlegen, ob die Stille und ruhigere Gangart von dem Ort oder Land zu einem passt. Romantik ist kein guter Ratgeber. Vielmehr sollte man erstmal sich selbst kennenlernen und überlegen, was man kann. Kann ich einen Nagel in die Wand schlagen, bin ich bereit zu geben und mich zu öffnen, zum Beispiel den neuen Nachbarn gegenüber?

 

Das Gespräch fand im Januar 2024 zwischen Christoph Ganske und Jörg Rosenstengel in Bielefeld statt.
Fotografie: Jörg Rosenstengel, Christoph and Friends
Kontakt zu Christoph über kontakt@biographiewerkstatt-bielefeld.de

Schafft man das überhaupt allein oder braucht man in jedem Fall Unterstützung?

Auf jeden Fall braucht man Unterstützung. Schön ist es schon, wenn man ein Netzwerk von Freunden hat, die das Ganze begleiten und auch mal  hinterfragen. Kritische Anmerkungen sind sehr wertvoll und jedes Gespräch ist hilfreich. Man staunt, wie viele Menschen sich mitbewegen, wenn man eine Sache erstmal anstößt. Es ist für viele vielleicht auch ein kleines Experimentierfeld, um den eigenen Weg herauszufinden.

Etwas mit und für andere zu schaffen, ist das für dich Teil des Projekts?

Ja, ich hatte schon oft die Idee einer Plattform und nun kann ich diese aufbauen. Was dann damit passiert, das gestalten die Menschen, die dann vielleicht kommen, helfen und verweilen möchten. Unter anderem wären Yoga- und Meditationsseminare vorstellbar. Eine Freundin meinte, wenn du ein Baumhaus baust, dann bau doch einfach ein zweites als Meditationsbaumhaus, als Plattform der Ruhe, wo man einfach sein kann. Ein Freund von mir sprach vom Sehnsuchtsort, der ist dann auch total über seine Grenzen gegangen, indem er trotz Höhenangst aufs Gerüst geklettert ist und das Haus mit angestrichen hat.

Man kann nur mutig sein, wenn man Angst hat und sich dann ins Unbekannte traut. So wie den Schritt zu machen, woanders hinzugehen, wo man erstmal ein Fremder ist. Diese Erfahrung zu machen, nämlich dass man Vertrauen haben darf und gut aufgenommen wird, ist ein großes Geschenk.

Das ist ein super Schlusswort. Vielen Dank für das spannende Gespräch und bis bald auf einen Kaffee im Pipplotta-Haus in Schweden.

 

Veröffentlicht in Allgemein, Hello Goodbye.