Mach dein Ding!
Auf der Rückseite des MARTa, im Schatten der skulpturalen Kuben und Wellen des Architekten Frank Gehry rauscht die Aa in Richtung Werre. Hier treffen wir den Herforder Designer Dirk Moysig, um über die Hoch- und Tiefstände seines fast drei Jahrzehnte währenden Unternehmerlebens zu sprechen.
Dirk, wie würdest du beschreiben, was du tust?
Ich versuche Marken und Räume zu inszenieren und Menschen zu begeistern. Das war auch unser Slogan, den wir vor zwanzig Jahren entwickelt und zwischenzeitlich überarbeitet haben. Am Ende kommen wir immer wieder auf den Ursprung zurück: Marken und Räume inszenieren und Menschen begeistern.
Was hat dich motiviert, dich selbständig zu machen?
Ich wollte mein eigener Herr sein und Dinge tun, die mich antreiben. Das war 1996, also vor 28 Jahren.
Hattest du als Kind einen Traumberuf?
Meine Traumberufe waren tatsächlich Autor und Schauspieler. Das fand ich toll. Wir sind ja noch mit drei Fernsehprogrammen aufgewachsen (lacht). Tarzan, Winnetou, Lex Barker, Bud Spencer und Terrence Hill waren meine Helden. Allerdings war auch die Kreativität, Räume zu gestalten schon immer in mir. 1992 war ich in New York und habe einen Shop von Christian Dior bei Bloomingdales gesehen. Sensationell, wie die es damals schon geschafft haben, ein Markenimage zu transportieren. Das war ein starker Impuls für mich.
Hast du in deiner Jugend auch schon Räume gestaltet?
Gestaltet eher weniger, aber ich habe Collagen gemacht, viel aus der Werbung in den Arbeiten verwendet, Mumm-Sekt und andere Werbeikonen von früher.
„Mir war es wichtig, etwas Eigenes aufzubauen, um mich so entfalten zu können, wie ich es für richtig hielt."
Warst du auch einer von den Bravo-Starschnitt-Leuten?
Ich hatte damals eher schon ein Faible für gute Magazine. Beispielsweise fand ich Produktpräsentationen von Boss super. Das Leben mit Trends war mein Ding.
Hat sich das auch in deiner Klamotte niedergeschlagen?
Bestimmt, ich hatte eine Zeit mit zerrissenen Jeans, die es damals noch gar nicht zu kaufen gab. Shabby Chic Marke Eigenbau und später auch modischere Sachen, die ich mir selbst zusammengestellt habe.
Wann hattest du das Gefühl, dass es klappen könnte, mit der Selbständigkeit?
Als ich ein dreiviertel Jahr etwas gemacht habe, das mir überhaupt nicht gefallen hat, war ich mir sicher, dass ich mich selbständig machen musste. Ich konnte mich nicht mit dem Unternehmen und den Stilmöbel identifizieren, die dort produziert wurden. Die Kunden waren gruselig, hauptsächlich Luden und Russen, die kein Benehmen hatten.
Hast du dort als Designer gearbeitet?
Ja, ich habe während der Zeit ein Möbelstudio in Moskau gestaltet und ein Restaurant. Das war mit einem Extraraum für Bodygards ausgestattet, weil die Gäste in Moskau in den 90ern ihre Bodyguards immer dabeihatten, damit sie in Ruhe essen konnten.
Auf Basis welcher Erfahrung hast du als Designer angefangen?
Ich hatte vorher schon als Innenarchitekt gearbeitet, in Werbeagenturen und bei Ladenbauern, unter anderem als Assistent der Geschäftsleitung in Porta Westfalica.
„Der Termin bei s.Oliver war der Kick, der alles ins Rollen brachte."
Es war also der richtige Zeitpunkt etwas zu verändern?
Genau, ich habe gemerkt, ich kann das nicht. Ich bin ein Mensch, der sich immer auf die Arbeit freut, man kann schon sagen, dass ich damals ein Workoholic war. Aber in den 9 Monaten bei dem Stilmöbelhersteller habe ich montags immer gebetet, dass es schnell wieder Freitag wird. Und am Freitag, dass es nie wieder Montag wird. Die Zeit bis 18 Uhr wollte einfach nicht rumgehen, es war unerträglich. Im September 1994 habe ich gekündigt und war überglücklich.
Hattest du schon eine Idee, wie Selbständigkeit funktioniert?
Nicht wirklich, aber ich habe mich erkundigt. Es war gerade ein Unternehmensberater für den Kreis Herford eingestellt worden, der mich beraten hat, wie man das am besten macht. Mit den Gründer-Subventionen konnte ich meine Selbstständigkeit von Oktober bis Dezember in Ruhe vorbereiten und ab dem 1. Januar 1996 durchstarten.
Was war für dich der Durchbruch?
Das war mein Termin bei s.Oliver. Die Geschichte ist wirklich außergewöhnlich, und das, was aus dem Termin entstanden ist, hat mich über Jahre auf meinem Weg begleitet. Das war der Kick, der alles ins Rollen brachte. Als Angestellter einer Ladenbaufirma, selbst in leitender Position, hatte ich immer nur Projekte umgesetzt. Bei meinem Kunden s.Oliver ging es erstmals darum, ein komplettes Designkonzept zu multiplizieren und ins Rollout zu bringen. Das war ein Schlüsselerlebnis und der Beginn vieler Freundschaften. Wenn die Verantwortlichen die Firma gewechselt haben, haben sie mich als Netzwerkpartner mitgenommen. So war ich bald bei ganz vielen Unternehmen im Boot und habe die Designkonzepte entwickelt. Das war wie ein Schneeballeffekt.
Was hat der Erfolg mit dir gemacht?
Es hat mich sehr stolz gemacht, dass ich nach anderthalb Jahren schon 9 Mitarbeiter hatte, mehr als heute.
Wie hat sich das weiterentwickelt?
1997 arbeiteten wir zu neunt im umgebauten Partykeller meiner ehemaligen Schwiegereltern. Da dachte ich noch mit drei Schreibtischen und 12 laufenden Metern Regal würden wir ewig klar kommen und sie nie vollkriegen, aber schon ein Jahr später passte kein Ordner mehr rein. So ging es weiter. 1998 habe ich auf dem Nachbargrundstück ein eigenes Bürogebäude gebaut, das für 12 Leute konzipiert war, in dem aber schnell 20 Leute Platz finden mussten. Danach haben wir noch ein Einfamilienhaus gebaut und auch das war ruckzuck voll. Die Vervielfältigung von Konzepten war einerseits vielleicht ein bisschen langweilig, wirtschaftlich gab es uns aber einen richtigen Schub.
„Am Anfang war jeder für alles zuständig, vom Entwurf bis zur schlüsselfertigen Übergabe."
Gab es euch auch einen kreativen Kick?
Auf jeden Fall. Mit den neuen Computerprogrammen bekamen wir fantastische Möglichkeiten an die Hand, um unsere Konzepte professionell zu visualisieren. Wir hatten so viele Anfragen, dass wir Abteilungen gründen mussten, um uns zu organisieren. Das gab es vorher nicht. Am Anfang war jeder für alles zuständig, vom Entwurf bis zur schlüsselfertigen Übergabe. Später hatten wir dann eine Entwurfsabteilung und eine nur für Ausführungsplanungen. Plötzlich gab es Abteilungsdenken. Rückblickend hat mir die Zeit am meisten Spaß gemacht, als jeder alles gemacht hat und alle durcheinander irgendwo gesessen haben, an einem Tisch Design, am nächsten Buchhaltung, die Neuen mussten sich hinsetzen, wo gerade Platz war. Ich würde sagen, da waren wir auch am erfolgreichsten.
Ein eingeschworener Haufen?
Wir haben abends noch zusammengesessen, freitags wurde Pizza bestellt, einer hat ´ne Kiste Bier mitgebracht und dann haben wir DVDs geguckt und uns sogar am Wochenende noch privat verabredet.
Würdest du heute alles wieder genauso machen?
Wenn ich die Möglichkeiten hätte, ja. Ich glaube, es war genial, wie es in den ersten Jahren gelaufen ist. Ich habe die Talente der Mitarbeiter erkannt und konnte gut Verantwortung abgeben. Viele Unternehmer haben den Anspruch alles selber zu machen, das war nie meins.
Welche Dinge oder Personen haben dich inspiriert?
Da muss ich auf jeden Fall das Konzept von Banana Republic nennen, das ich zuerst in New York gesehen habe und das dann von der Familie Ondrich unter dem Namen Soho Zoo in Deutschland umgesetzt wurde. In den 90ern waren wir maßgeblich daran beteiligt, das Konzept zu multiplizieren.
Gibt es für dich andere Designer, die dich geprägt haben?
Als ich die Nische damals für mich entdeckt habe, gab es nur zwei, drei nennenswerte Mitbewerber. Alle anderen habe ich nicht wahrgenommen und die mich auch nicht. Ich ziehe vor dem Erfolg der Kollegen den Hut, Vorbilder waren sie aber nicht für mich. Ich wollte mein eigenes Ding machen.
Würdest du sagen, dass ihr eine ganze neue Perspektive in den Retailbereich gebracht habt?
Wir haben praktisch ein eigenes Feld aufgemacht, das kann man so sagen.
„Er grinste nur und sagte: Ich bin in meinem Leben noch nie eine Treppe hochgegangen. Ich laufe immer! Und weg war er."
Fällt dir noch jemand ein, der dich beeindruckt hat?
Es gibt Menschen, die eine besonders Aura ausstrahlen, zum Beispiel Franz Beckenbauer, dem ich einmal persönlich begegnet bin, als er mir beim Stanglwirt in Going eine Tür in der Tiefgarage aufhielt. Das hat in mir die Messlatte gesetzt. Wenn ich gut und erfolgreich unterwegs bin, habe ich auch manchmal das Gefühl, von einer Aura umgeben zu sein. Gespürt habe ich die charismatische Aura unter anderem auch bei Michael Herz von Tchibo, Joachim Zeiß von Puma und Gerhard Weber, den ich sehr positiv in Erinnerung habe. Er empfahl mir einmal im Treppenhaus der Gerry Weber Zentrale in Halle, die Treppe schneller hochzugehen. Ich fragte ihn, wie er darauf käme. Er grinste nur und sagte: „Ich bin in meinem Leben noch nie eine Treppe hochgegangen. Ich laufe immer!“ Und weg war er.
Wann warst du besonders stolz auf das, was du geleistet hast?
Als ich 2008 den Mietvertrag für die Vilsendorfer Straße unterschrieben habe. Wir platzten 2008 aus allen Nähten und ich fand in Herford kein passendes Baugrundstück. Als ich Wolfgang Brinkmann ansprach, ob er nicht etwas für mich wüsste, meinte er, ich solle am nächsten Tag mal zur Vilsendorfer Straße 62 kommen. Die Fahrt kam mir endlos vor, es sind immerhin 11 km vom Herforder Bahnhof dorthin und ich dachte, das kann ich meinen Mitarbeitern unmöglich zumuten und überlegte wie ich aus der Sache wieder rauskommen könnte. Als ich aber auf das Grundstück fuhr, gingen bei mir die Nackenhaare hoch: Gänsehaut. Ich wusste, das ist es. Wir haben dann das ehemalige Headquarter der Schieder-Gruppe nach unseren Wünschen umgebaut und sind im März 2009 mit einer logistischen Meisterleistung umgezogen. Da war ich wirklich stolz und glücklich.
Was bedeutet dir der Standort Herford?
Inzwischen habe ich einen riesigen Stadtstolz, zu einem weil 2005 das MARTa eröffnet hat und weil wir heute einen der coolsten Bürgermeister Deutschlands haben. Bis 2005 habe ich Herford als Standort immer wieder in Frage gestellt. Das lag auch an der Skepsis vieler Kunden: „Herford, kann man da gute Ideen haben?“ Ab 2005 konnte ich ihnen dann das MARTa unter die Nase halten, ein richtig geiles Museum für zeitgenössische Kunst mit Weltarchitektur von Frank Gehry.
Welche drei Werte geben dir Orientierung?
Freundschaft, Vertrauen und Loyalität.
Das gilt für dich sowohl privat als auch beruflich?
Mir ist wichtig, dass es mit unseren Kunden auf Augenhöhe funktioniert. Häufig bekommt man als Dienstleister wenig Wertschätzung. Wenn Kunden aber verstehen, worum es einem geht und man sich auf Augenhöhe begegnet, dann funktioniert es.
Was bedeutet für dich Selbständigkeit?
Wie schon gesagt, die Freiheit, selbst zu entscheiden. Dazu gehört aber auch der tägliche Druck Umsätze zu machen. Es ist wunderbar, coole Jobs und Aufträge zu haben, aber am Monatsende muss die Rechnung bezahlt werden. In den vergangenen acht Jahren ist mir bei allem, was wir erlebt haben, erstmal richtig bewusstgeworden, wie schwer das eigentlich ist.
Kann Druck auch inspirierend wirken und Neues entstehen lassen?
Klar, wir hinterfragen uns ständig. Wir haben uns im August bewusst komplett neu aufgestellt, auch mit neuen Geschäftsfeldern. Ich bin mir sicher, dass das die richtige Entscheidung war, aber bis wir uns mit unseren neuen Leistungen etabliert haben, werden noch einige Monate vergehen.
Hat sich euer Angebot verändert, weil sich die Bedürfnisse der Menschen verändern?
Jeder bemerkt, dass sich die Struktur des Einzelhandels in den Innenstädten drastisch verändert und dass die freiwerdenden Flächen anders genutzt werden müssen.
Siehst du Potenzial in der Veränderung? Was wird aus den Gebäuden, die leerstehen?
Da müssen Konzepte her, die zum Beispiel Wohnraum und Gesundheitsversorgung verbinden und finanzstarke Zielgruppen ansprechen. Stichwort Silverager. Die Menschen, bei denen die Kinder raus sind, brauchen vielleicht nicht mehr so ein riesiges Haus, sondern haben in der Stadt auf kleinerer Fläche und in Gemeinschaft mit anderen Gleichgesinnten eine viel höhere Lebensqualität. Unsere Aufgabe ist es, die Ästhetik der Generation, die mit Popkultur aufgewachsen ist, mit altersgerechter Funktionalität auszustatten und so eine neue Stadtkultur zu schaffen.
„Die beste Heilung ist, wenn man an erfolgreichen Projekten arbeitet."
Eine etwas unangenehme Frage, die aber jeden Unternehmer betrifft: Hast du Misserfolge erlebt und wie gehst du damit um?
Leider eine Insolvenz in Eigenverwaltung und in der Folge eine Insolvenz. Das traumatisiert einen extrem und macht einen demütiger. Besonders schmerzhaft ist es, wenn man Menschen enttäuschen muss. Das zu verarbeiten ist nicht so einfach. Die beste Heilung ist, wenn man an erfolgreichen Projekten arbeitet.
Gibt es ein grundsätzliches Motto, dem du immer treu geblieben bist?
Einfach machen, nicht lange rumfackeln. Nicht alles kritisieren und den Fehler suchen, sondern einfach anfangen und ausprobieren.
Hast du das Gefühl, dass es heute zu wenig Entscheidungsfreudigkeit gibt?
Ja, aber ich glaube das hat auch was mit der allgemeinen wirtschaftlichen und der Weltsituation zu tun. Die Krisen der letzten Jahre haben uns nicht nur in unserer Branche, sondern fast alle Unternehmen ausgebremst. Die Möbelbranche, die in der Pandemie außergewöhnlich erfolgreich war, macht jetzt Kurzarbeit. Alles ist unberechenbar, umso wichtiger ist es, dass man seiner Intuition vertraut.
Kann man Erfolg systematisch planen, oder gehören Spontanität und Bauchgefühl dazu?
Für mich ist das so. Für andere ist es anders, die können Erfolg möglicherweise systematisch planen, weil sie eine andere Denkstruktur haben. Ich bin ein sehr emotionaler Mensch, ein Bauchmensch und lasse mich mehr von Emotionen als von Zahlen leiten, was natürlich auch nicht immer richtig ist.
Was sind deine nächsten Ziele?
Finanzielle Unabhängigkeit und einen sicheren Arbeitsplatz für meine Mitarbeiter schaffen und irgendwann mal wieder in den Urlaub fahren. (lacht)
Was wünschst du uns allen als Gesellschaft?
Weltfrieden und Zufriedenheit. Und freundlichen, wertschätzenden Umgang miteinander.
Welchen Rat würdest du einem jungen Unternehmer geben?
Im Prinzip wieder das gleiche: Machen! Und sich auf keinen Fall runterziehen lassen. Wenn du an etwas glaubst, musst du es einfach durchziehen. Fragst du zehn Leute, sprechen neun dagegen. Also: Just do it, mach dein Ding, wie einer meiner großen Helden Udo Lindenberg sagt.
Das Interview mit Dirk Moysig wurde am 10.01.2024 von Jörg Rosenstengel in Herford geführt.
Dirk Moysig ist Geschäftsführer der Moysig Design UG in Herford.
Fotografie: Josefine Skotzek
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