s.Oliver und der magische Janker
Der Suzuki schnurrt wie ein Kätzchen, als er sich die Kasseler Berge Richtung Süddeutschland hochschraubt. Noch gut zweihundert Kilometer bis Rottendorf. Noch gut 3 1/2 Stunden bis zu dem Termin, der meiner Karriere den ultimativen Kick geben wird.
Vor mir liegt nicht weniger als die Initialzündung für Moysig Retail Design und die kommenden Jahrzehnte. Was ich zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht ahne. Mein Bauch allerdings sagt: Die Zeichen stehen gut, Junge. Bleib einfach cool und vermassele es nicht. Ich spüre den Kaffee in meinem Magen hin und her schwappen, vielleicht habe ich zu viel davon getrunken, meine Augen brennen, als hätte ich keine Sekunde geschlafen, was ich wohl auch nicht habe, immer wieder greife ich nach der Mappe auf dem Beifahrersitz, um mich zu vergewissern, dass sie noch da ist. Mein Kapital. Mein Einsatz im Spiel um die Sonnenplätze, die nun auf meiner Herzseite über die Berge lugt. Ich zwinkere ihr zu und gebe Gas. Das wird mein Tag.
Der Schatz, der am Morgen des Jahres 1996 neben mir auf dem Beifahrersitz lag, hätte in den Augen der meisten Menschen wohl keinen großen Wert gehabt. Ein paar gut gemachte Skizzen. So what?
Für s.Oliver und die wegweisenden Modemarken war es genau das, worauf sie gewartet haben. Ein Konzept, das das Retailgeschäft nachhaltig verändern sollte.
Während einiger Aufenthalte in New York Anfang der 90er hatte ich das Shop-in-Shop System entdeckt und kennengelernt. Innovative Marken wie Banana Republic hingen dort nicht einfach stumpf nebeneinander in der Reihe, wie das in Deutschland zu diesem Zeitpunkt noch allgemein üblich war, vielmehr strahlten sie in ihrer eigenen Markenwelt, bespielten bunt und lebendig die Flächen der größten Kaufhäuser der USA.
Ich hatte keinen Zweifel, dass so auch die Zukunft bei uns aussehen würde. Ich hatte nur noch keinen Plan, wie man mit unseren Markenanbieter in Kontakt treten sollte, um sie von dieser bahnbrechenden Art der Warenpräsentation zu überzeugen. Da das Zeichnen seit der Kindheit meine bevorzugte Ausdrucksform ist, begann ich die Ideen zu visualisieren. Ich arbeitete drei beispielhafte Shop-in-Shop-Einrichtungssituationen für nicht näher definierte Modemarken aus.
Und wie so häufig bei Erfolgsgeschichten, die rückblickend eine gewisse Logik erhalten, öffnete auch in meinem Fall der Zufall die Tür.
Ich würde allerdings eher von einem Gespür für Right-Time-Right-Place als Zufall sprechen, denn wenn das Schicksal mit dem Zaumpfahl winkt, nutzt es leider nichts, wenn man ihn nicht erkennt und die Gelegenheit beim Schopf packt. Jedenfalls hatte ich erfahren, dass eine meiner Bekannten für Martin Plattfaut arbeitete, der als freier Handelsvertreter von S.Oliver einen Showroom in Herford führte. Ich zeigte ihr meine Entwürfe, von denen sie direkt begeistert war und sie erklärte sich bereit, einen Termin mit ihrem Chef zu arrangieren.
Kurze Zeit später erläuterte ich diesem während eines Essens im Herforder Felsenkeller meine Vision und die konkreten Umsetzungspläne dafür. Er war eher der Typ nüchterner Geschäftsmann, der bei Visionen der Empfehlung unseres Altbundeskanzlers Schmidt folgt und den Arzt konsultiert, hatte aber trotzdem nichts dagegen, ein gutes Wort beim „Alten“, also dem Macher von S.Oliver, für mich einzulegen.
Eine Woche später rief er mich an und sagte, er habe am nächsten Tag um 19 Uhr einen Telefontermin mit Bernd Freier vereinbart, ich solle aber bitte rechtzeitig da sein. Logisch, dass ich pünktlich wie die Maurer auf der Matte stand. Kurz darauf telefonierte ich mit Gott. Das hört sich vielleicht ein wenig übertrieben an, so aber nahm ich den Kopf der bereits damals mit einem Umsatz von 300 Millionen Euro extrem dynamischen Marke S.Oliver wahr. Was für ein genialer Multiplikator wäre das für meine Ideen. Bernd Freier hörte mir aufmerksam zu und schien das Potenzial zu wittern.
"Falls Sie morgen früh von 9.30 bis 10 Uhr eine halbe Stunde Zeit erübrigen können, kommen Sie mal in Rottendorf vorbei."
Innerlich ballte ich die Becker-Faust und versprach einmal mehr pünktlich zu sein. Wow, ich hatte gerade einen Termin mit Gott gemacht. Das war der Hammer, aber wo zum Teufel war Rottendorf? Ich fand heraus, dass Rottendorf gut knapp 400 km von Herford entfernt in der Nähe von Würzburg liegt. Um 9.30 Uhr da zu sein, bedeutete, dass ich mich in aller Herrgottsfrühe in Bewegung setzen musste.
So stieg ich um 5 Uhr voller Vorfreude, Adrenalin, einem gewissen Lampenfieber und einem gehörigen Schlafdefizit in den Suzuki Shift meiner damaligen Frau. Unterwegs machte ich mir die unsinnigsten Gedanken. Zum Bespiel: Bist du überhaupt richtig angezogen? Ich meine, ich laufe bei einem der innovativsten Köpfe der Modebranche auf, da sollte man ja wohl ein bisschen Style erwarten dürfen. Ich gebe zu, dass mein Style zu jener Zeit nicht unbedingt als trendsetzend bezeichnet werden konnte. Vor dem Kleiderschrank sinnierend hatte ich mich für eine Jeans, ein Hemd und einen Janker entschieden, den ich mir kurze Zeit vorher aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen gekauft hatte. Ein anderes Sakko besaß ich nicht.
„Geiles Material.“ Freier grinst mich an und fummelt an meinem Ärmel herum, befühlt den Stoff meines Jankers. Ich versinke im Stuhl.
Meint der das ernst? Meint er. „Damit müssen wir auch was machen.“Bin ich in einem Traum gelandet? Frau Seidel, Freiers Sekretärin, bringt uns den Cappuccino und ich spüre, dass die Situation Realität, mehr noch, dass das Eis gebrochen ist. Freier ist vielleicht ein Gott in seinem Business, aber ansonsten ein ganz normaler Mensch. Wir sind uns auf Anhieb sympathisch, auf einer Wellenlänge wie man so schön sagt. Janker sei dank. Ich zeige Bernd Freier meine Vorschläge und er sagt, dass er darüber auch schon nachgedacht habe, dass ich also right-time-right-place-mäßig genau zum richtigen Zeitpunkt bei ihm reingeschneit sei. Dann stellt er mich den Mitarbeitern vor, die das Projekt intern vorantreiben sollen und verabschiedet sich. Aus der eingeplanten halben Stunde werden vier und ich bin überhaupt nicht mehr müde.
Stolz wie Oskar fliege ich mit den ersten vier Aufträgen von s.Oliver in der Tasche über die A7 nach Hause.
Das war der Anfang einer langen und von persönlicher Wertschätzung geprägten Geschäftsbeziehung. Mit den Freunden von S.Oliver, und das ist vollkommen ernst gemeint, weil wir uns im Laufe der Zeit neben der Arbeit auch persönlich kennen- und schätzen gelernt haben, haben wir in der Spitze 60 Shop-Projekte pro Quartal umgesetzt. Dazu kamen schnell weitere Marken wie Oliver Twist. Mit Unterstützung von Mitarbeitern, die von S.Oliver aus in die große, weite Modewelt auszogen, konnten wir Bianca, Roy Robson, später Puma und viele andere Top-Marken mit unseren Stores und Shops begeistern. Weil die Aufträge eingingen und unsere Konzepte einschlugen wie Vanilleeis mit Schokostreusel auf einem Kindergeburtstag, bauten wir aus. Vom umgebauten Partykeller bei meinem Schwiegereltern zogen wir 1998 in ein Bürogebäude, das mit 180 Quadratmetern und Designer-Ausstattung den kreativen Spirit unseres Start-ups widerspiegelte. Das alles war nur möglich, weil die richtige Idee zur richtigen Zeit auf fruchtbaren Boden gestoßen war und wir mit Herzblut und überdurchschnittlichem Einsatz bereit waren, die Früchte zu ernten und uns nie zufrieden zu geben.
Die Begegnung mit Gott, Bernd Freier möge mir verzeihen, der überraschende und im wahrsten Sinne des Wortes traumhafte Termin im Headquarter von S.Oliver, das Gefühl, dass meine Ideen wirklich verstanden und umgesetzt werden können, war der letzte Funke, der das Feuer in mir endgültig entfacht hat.
Ohne Feuer kein Erfolg, davon bin ich bis heute absolut überzeugt.
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Die BioFiction Geschichte „Der magische Janker“ entstand 2017 im Rahmen meiner biografischen Zusammenarbeit mit Dirk Moysig, Geschäftsführer der Moysig Design UG in Herford.